Sonntag, 8. April 2018

Das jüngste Gericht


Der Himmel war fast schwarz. Dunkle Wolken rasten bedrohlich schnell von den Bergen hinab Richtung Dorf. Dort waren alle Fenster und Türen verschlossen. Die Angst vor dem kommenden Unwetter ließ den Ort verwaist erscheinen, so als ob er schon seit langer Zeit verlassen worden wäre.  Nicht einmal ein Hund war auf der Straße. Es war sehr still – die Ruhe vor dem Sturm. Und der würde kommen!
Die Luft roch nach Unheil. Langsam aber stetig wurde der Wind stärker, fegte die Straßen entlang, rüttelte immer heftiger an geschlossenen Fensterläden. Irgendwo schepperte eine Türe, wahrscheinlich hatte jemand vergessen sie zu schließen. Niemand kümmerte sich darum. Das Rauschen des Sturms schwoll stetig an. Immer mehr Gegenstände flogen durch die Luft, knallten an Häuserwände, Gartenzäune und Wägen, fielen herunter und machten einen Höllenlärm.
Ein anfangs leichter Regen peitschte nun waagerecht und prasselte auf Dächer und Fenstersimse. Bäume bogen sich beängstigend hin und her und wer wusste schon, ob sie nicht entwurzelt auf Häuser oder Menschen stürzen würden? Gleißende Blitze durchzuckten den Himmel, sofort gefolgt von tosendem Donner. Es schien, als ob der Weltuntergang gekommen sei.
„Das ist die Strafe Gottes, er bestraft uns, wir sind verflucht“. Michel saß am Küchentisch, die Hände auf dem Tisch gefaltet, den Kopf gesenkt. Er murmelte etwas vor sich hin, das wie ein Gebet klang. „Vater unser im Himmel….“. Er schüttelte den Kopf. „Wir sind verflucht – alle. Wir hätten das nicht tun dürfen. Jetzt bestraft uns der Herrgott, wir werden alle sterben“.
„Halt den Mund! Niemand wird hier bestraft. Das ist nur ein ganz normales Gewitter.“ Gertrud, seine Frau, fasste ihn von hinten an der Schulter und schüttelt ihn. „Hörst du?“
„Das ist das jüngste Gericht, wir müssen jetzt büßen für unsere Tat. Es gibt keine Hoffnung mehr für uns, für keinen von uns, wir sind schon beinahe tot. Die Erde wird sich auftun und uns hinabreißen und wir werden ewig in der Hölle braten“.
Wie zur Bestätigung donnerte es laut.
Plötzlich ein lautes Klopfen. Michel erschrak „jetzt kommt er uns holen!“ Er beugte wieder den Kopf und faltete die Hände „… und vergib uns unsere Schuld…“.
Gertrud öffnete die Tür. Es war der Bürgermeister. Seine Kleidung war nass und die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. „Berti, was machst du denn bei diesem Wetter draußen? Komm rein!“
Berthold betrat die gute Stube und zog die nasse Jacke aus. „Ich mach dir schnell einen Kaffee, setz dich an den Ofen“. Gertrud hängte die Jacke an den Kleiderhaken an der Tür.
„Danke Gerti, den könnte ich gut gebrauchen.“ Der Bürgermeister lehnte sich an den warmen Kachelofen und rieb sich die Hände „was für ein Sauwetter“.
„Das ist die Strafe Gottes Berti, wir sind verflucht“ drang die verzweifelte Stimme Michels vom Tisch herüber „wir hätten das nicht tun dürfen“.
„Michel, was redest du denn da?“ Berthold war verwundert. Offenbar war Michel durch das starke Unwetter vor Angst verwirrt.
„Nichts Berti, der Michel hat nur Angst vor dem Gewitter und jetzt fallen ihm alle seine kleinen Sünden ein, die er jemals begangen hat“ sagte Gertrud hastig „Michel reiß dich doch zusammen!“.
„Wie möchtest du deinen Kaffee Berti? Mit Milch und Zucker?“
„Schwarz wie die Nacht finster“.
„Schwarz und finster – die Nacht verschlingt uns, und lässt uns nicht mehr los. Herr vergib uns, bitte vergib uns.“ Michel fing an zu weinen.
Derweil riss und zog der Wind an den Fensterläden, der Regen prasselte mit voller Wucht nieder und die Straßen draußen waren im Nu überschwemmt, ein strenger Wind heulte und drohte den Baum vor dem Fenster, dessen Fensterladen inzwischen weggeflogen war, umzureißen und auf das Haus zu stürzen. Ein gleißender mehradriger Blitz fuhr vom Himmel und der sofort darauf folgende ohrenbetäubend laute Donner zeugte davon, dass es ganz in der Nähe eingeschlagen haben musste. Obwohl es erst Mittag war, hüllte die bedrohliche Dunkelheit alles ein. Vor lauter Niederschlag konnte man keine 5 Meter weit sehen.
Gertrud hatte inzwischen das Licht angemacht, reichte dem Bürgermeister ein  Haferl mit Kaffee und setzte sich neben ihn auf die Ofenbank. „Irgendwer hat seine Suppe nicht aufgegessen“ scherzte Berthold, aber es war ihm nicht zum Lachen.
Plötzlich wurde es dunkel in der Stube. Michel schrie auf und Gertrud lief, um Kerzen zu holen.
„… sondern erlöse uns von dem Bösen“. Michel legte den Kopf auf die Hände und schluchzte.
„Armer Michel“ sagte Berthold. „Ich wusste nicht, dass er so ein ängstlicher Typ ist.“ Aber sehr wohl war auch ihm nicht. Er hatte auch Angst, eine beschissene Angst!
„Es war nicht Recht, ihm das anzutun. Das hatte er nicht verdient“ Michel schüttelte den Kopf. „Der Herrgott hat gesagt ‚du sollst nicht…. “.
„Michel, du musst aufhören damit. Das Gewitter verwirrt dir den Kopf.  Du kannst keinen klaren Gedanken fassen. Hier, trink einen Becher Kaffee mit Milch, dann geht es dir wieder besser“. Gertrud drückte ihm schnell die Tasse in die Hand und strich über seinen Kopf. „Es ist alles gut. Was geschehen ist, ist geschehen und du solltest darüber auch nicht länger nachdenken“.
Berthold schaute fragend auf. „Von was redet ihr beide denn da? Was ist denn geschehen?“
Es klopfte wieder an der Tür und als Gertrud öffnete, trat der Pfarrer ein. „Gott zum Gruße beisammen. Ob ich mich wohl etwas bei euch aufwärmen dürfte? Ich war gerade beim Sepp Hochleitner und das Unwetter hat mich dann doch noch auf dem Rückweg erwischt. Hab nicht gedacht, dass es so schnell kommt“.
Gertrud erschrak als Michel aufschrie „der Sepp, der Sepp. Das hat er nicht verdient, wir hätten ihm das nicht antun dürfen. Nun kommen die himmlischen Heerscharen und holen uns und wir braten in der Hölle. Herr Pfarrer bitte beten sie für uns“.
Der Pfarrer und der Bürgermeister starrten den Michel entsetzt an. Gertrud hob die Hand und schlug Michel ins Gesicht. „Hör endlich auf damit, was vorbei ist muss ruhen!“.
Michel sprang auf und lief aus dem Zimmer.  Noch bevor seine Frau es verhindern konnte, riss er die Haustüre auf und rannte direkt in das tosende Unwetter hinein.
„Michel! Michel! Komm zurück!“. Die drei Zurückgebliebenen standen entsetzt und ratlos im Flur und sahen durch die Haustüre in die Schwärze und versuchten Michel auszumachen. Aber sie sahen ihn nicht. Sie wussten nicht, was sie tun sollten. Gertrud nahm die Jacke des Bürgermeisters vom Haken, warf sie sich über und rannte los. Hinter ihr schloss sich die Wand aus Regen und umherfliegenden Teilen. Der Bürgermeister und der Pfarrer sahen sich hilflos an. Keiner traute sich den beiden zu folgen.
An nächsten Morgen war der Spuk vorbei und die Sonne lachte vom Himmel, als hätte sie nie etwas anderes getan. Das Gewitter hatte sich in der Nacht abgeschwächt und sich dann ganz verzogen. Die Straßen waren voller Schmutz und Unrat, die Gärten und Vorgärten verwüstet, die Häuserwände schmutzig, Dächer abgedeckt, Wägen umgefallen, die Brücke eingestürzt,  Bäume entwurzelt. Am schlimmsten sah es auf dem Marktplatz aus, Äste der dicken alten Linde waren abgebrochen und herabgefallen und unter einem dieser dicken Äste lag Michel, Hand in Hand mit Gertrud.
Der Bürgermeister fand die beiden und holte den Pfarrer. Beide standen traurig und ratlos. Würde das Geheimnis, das Michel und Gerti geteilt hatten nun für immer unentdeckt bleiben? Der Pfarrer schaute vor sich hin, runzelte die Stirn und meinte rätselhaft „wir werden ja sehen…..“ .

© Petra Schuster
Nürnberg, 15.04.2018

Diese Kurzgeschichte entstand im Rahmen eines Schreib-Kurses beim Bildungszentrum Nürnberg am 8.4.2018.bei dem Dozent Lucas Fassnacht
Überarbeitet und dann Vorgetragen am 15.04.2018 in der Orangerie im BZ

Samstag, 11. März 2017

Der kleine Löwe

Der kleine Löwe gab klägliche Töne von sich, er war allein. Seine Mutter war mit den anderen Löwinnen zur Jagd aufgebrochen, aber als einzige nicht zurückgekehrt.

Was sollte nun aus ihm werden? Er war noch auf Muttermilch angewiesen. Heute hatte er noch nichts zu fressen gehabt. Sein Vater würde ihn verstoßen, wenn er eine andere Favoritin wählen würde. Keiner würde sich um ihn kümmern, alle würden ihn herumstoßen, er würde verhungern und verdursten, wenn nicht ein Wunder geschah.

Da näherte sich ihm eine ältere Löwin vorsichtig und erkundete mit vorgeschobener Nase seinen Geruch. Dann stubste sie ihn an, ganz zärtlich. Der kleine Löwe war erst sehr vorsichtig und zögerlich, doch dann fing auch er an, den Geruch der fremden Löwin aufzunehmen.

Die Löwin ließ sich auf ihre rechte Seite fallen und bot dem kleinen Löwen ihre Zitzen, die angesschwollen waren, so als seien sie voll Milch. Der kleine Löwe hatte so starkem Hunger, so dass er nicht widerstehen konnte. Er lief ganz schnell  hin und fing an zu saugen. Das schmeckte herrlich!

Er hörte erst auf, als er satt war. Dankbar fing er an, die Löwin am Kopf zu lecken. Diese genoss es und leckte wiederum den Bauch des kleinen Löwen, damit die Verdauung in Schwung kam. Sie hatte ihre Jungen verloren und nahm sich nun des Löwenbabys an dessen Mutter statt an. Und beide waren sehr zufrieden und glücklich.

© Petra Schuster
Nürnberg, 14.06.2010

Samstag, 27. September 2014

Mein geliebtes Katzenklo

Ich liebe mein Katzenklo! Vor allem morgens, wenn mein Frauchen sich im Bad fit macht für den Tag. Sie liebt es nämlich, wenn sie vor dem Spiegel steht und ich zwischen ihre Füße hindurch in meine Klohöhle schlüpfe. Da beugt sie sich vor, schaut herein und ist ganz begeistert: "musst du ausgerechnet dein Geschäft machen, wenn ich im Bad bin?"

Und dann sitze ich und mache mein "Geschäft", ein großes, duftendes. Danach scharre ich mit richtig großer Begeisterung das Ergebnis zu, so groß ist der Spaß dabei, dass viele Körnchen des Katzenstreus vor das Katzenklo fallen. Frauchen reagiert wieder hocherfreut:"hey nicht so toll, da muss ich ja wieder alles zusammenkehren".Ich freue mich immer sehr, dass es ihr so gut gefällt.

Und das ist noch nicht alles. Meist kommt dann noch ein "igitt, das riecht ja wieder würzig". Sie reißt dann auch gleich das Fenster auf, damit ich frische Luft schnuppern kann. Ich bin sehr glücklich, dass sie es liebt, wenn ich auf die Kiste gehe, während sie sich schön macht.

Ja, sie ist schon toll und sie liebt mich wirklich sehr!

Euere Ramona

© Petra Schuster
Nürnberg, 01.06.2007

Freitag, 26. September 2014

Der Lange und das Kätzchen

Es war dunkel draußen. Und kalt. Das kleine Kätzchen saß zitternd und frierend im Schnee und miaute kläglich. Aber niemand schien es zu hören. Die Katzenmama war fortgelaufen, um etwas zu Fressen zu suchen. Das Katzenmädchen miaute immer öfter und lauter, es hatte Hunger und große Angst und natürlich fror es entsetzlich. Sie war die einzige aus dem Wurf, die noch am Leben war, alle anderen waren längst gestorben, verhungert oder erfroren. Aber die Mutter wollte und wollte nicht wiederkommen.

Verzweifelt lief das Kätzchen in die Richtung, in die die Mutter verschwunden war. Und da lag sie plötzlich vor ihr, tot. Ein Auto hatte sie erfasst und mitgeschleift.

Das arme Kätzchen lief zu ihr, stubste sie an und ließ nicht locker, immer und immer wieder stieß sie die kleine Nase in die Seite der Toten. Miauuuu, miauuuu, miauuuu! Ganz traurig legte sie sich dann an die Seite der Mutter, bettete den Kopf auf die Pfoten und miaute leise weiter.

Ein großer, hagerer, traurig aussehender Mann näherte sich dem Trauerort. Er blieb erstaunt stehen, als er die kläglichen Laute hörte. Als er die Situation erfasste, beugte er sich hinab zu dem winzigen Schreihals und hob ihn hoch. Das Kätzchen sah zu ihm auf, miaute noch ein paar Mal und als es der Mann zärtlich streichelte, rieb es seinen Kopf an seiner Hand.

Der Lange schob das kleine Kätzchen unter seinen Mantel und auf dem Nachhauseweg holte er im Supermarkt an der Ecke noch eine Schale mit Katzenfutter. Zuhause angekommen bekam das Kleine zuerst ein Tellerchen mit Milch, und dann konnte es sich endlich satt fressen.

Der Mann verließ noch einmal das Haus. Er holte die tote Mutterkatze und vergrub sie in seinem Garten.

Die beiden, der Lange und das Kätzchen, wurden bald unzertrennlich. Abends saßen sie gemeinsam auf dem Sofa, der Mann streichelte das Köpfchen der Kleinen und er selbst war auch nicht mehr traurig, sein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen, er hatte eine Aufgabe, wurde geliebt und gab diese Liebe tausendfach zurück.

© Petra Schuster
Nürnberg, 25.05.2004

Montag, 22. September 2014

Nachts um Zwölf

Ein lautloser Schatten glitt durch die Nacht. Es war nicht festzustellen, um was - oder wen? - es sich handelte. War es ein Menschen, ein Tier, ein Geist? Simon hoffte, dass es nicht Letzteres war. Er fröstelte und zog den Kragen zu, duckte sich in seinen Mantel und beschleunigte seine Schritte. Zu allem Unheimlichen gesellte sich noch ein kalter Wind und es fing an zu regnen. Der Mond war schon lange hinter dichten Wolken verwunden. Die Kirchturmuhr fing an, Zwölf zu schlagen. 

Neben Simon raschelte es im Gebüsch. Er lief schneller, stolperte über eine Baumwurzel und ein Ast streifte seinen Nacken. Warum war er nur nicht mit seiner Schwester am frühen Abend nach Hause gefahren? Es war gerade so lustig gewesen mit seinen Freunden, bei einem Glas Bier, das offene Feuer hatte lustig im Kamin geprasselt und Wärme verstrahlt. man hatte über das letzte verlorene Fußballspiel seines Vereins diskutiert und so war er noch geblieben. Das bezahlte er jetzt mit einem Fußmarsch durch unwegsames Gelände - eine enorme Abkürzung zum normalen Straßenverlauf - vorbei am Dorfweiher und dann entlang der Friedhofsmauer. Und das ausgerechnet auch noch um Mitternacht! 

 Äste knackten ein paar Schritte entfernt, ein Käuzchen schrie und als er gerade am Gottesacker vorbei lief, knarrte plötzlich eine Tür. Simon erschrak fürchterlich, als ein kalter Luftzug aus dem Reich der Toten ihn streifte. Er erstarrte und vergaß weiter zu gehen. Eine schwarze Gestalt, rießengroß, näherte sich ihm langsam. Simon war gerade kurz davor in Ohnmacht zu fallen, da sauste eine Hand auf seine Schulter nieder und eine unheimliche dunkle Stimme sagte: "Na, Simon, so spät nach Hause?". Simon stieß die angehaltene Luft aus den Lungen. Es war der Dorfpfarrer, der ihn nun das letzte Stück des Weges begleitete. Er hatte es seiner Schwester ja gesagt, es ist kein Problem, Nachts zu Fuß nach Hause zu gehen!

Freitag, 19. September 2014

Der Baum der einsam war

Hinter einem Haus, ebenerdig mit dessen Kellerausgang, standen zwei  dicke, hohe, alte Eichen nebeneinander. Sie ragten weit über den  Dachgiebel des zweistöckigen Einfamilienhauses hinaus und spendeten den  Menschen Schatten und Trost und den Tieren Futter. Sie gehörten einfach  hier her.

Eines Tages veränderte sich alles. Ein dicker Ast einer der Eichen  hätte fast das Dach des Hauses eingedrückt. Deshalb wurde gleich der  ganze Baum gefällt. Jetzt war die zweite Eiche sehr einsam und traurig.  Sie stand ganz verloren, die Schatten die sie warf waren unvollständig.  Und der Trost den Menschen hier gefunden hatten, stellte sich bei diesen  auch nicht mehr ein, deshalb kamen sie auch nicht mehr hierher.

Da beschloss der Baum, auf Wanderschaft zu gehen und sich einen neuen  Gefährten zu suchen. Er knarrte ganz schön, wenn er sich bewegte und  wegen seiner Größe musste er das auch ganz langsam tun, um kein  Übergewicht zu bekommen. Seine Krone bewegte sich bei jedem Schritt hin  und her. Aber voller Hoffnung schob er sich weiter, der untergehenden  Sonne entgegegen.

Der knorrige Eichenbaum traf auf Erlen und Birken, auf Tannen und Fichten,  ganze Wälder waren voll mit Nadelbäumen, aber er traf keinen seiner Art  und nirgends fühlte er sich so richtig wohl.
Und wieder war der Baum sehr traurig und fühlte sich einsamer denn  je. Er änderte seine Richtung und kam zu einer großen Stadt. Da der  Verkehr dort sehr stark war, konnte er sich nur ganz langsam vorwärts  bewegen und so hatte er Zeit, sich genauer umzusehen. Er sah Menschen,  die vorüberhasteten, keiner hatte Zeit und auch sie sahen irgendwie  traurig und einsam aus.

Die Eiche kam zu einem kleinen Park. Hier gab es Büsche, Wiesen und  viele verschiedene Bäume, die den Menschen Schatten spendeten, ihnen  Trost gaben und den Tieren Futter und sie beschloss, hier zu bleiben,  denn das gefiel ihr sehr. Die Vielfalt war hier äußerst reizvoll. Die  Eiche hatte zwar keinen Artgenossen gefunden, aber zusammen mit den  anderen Bäumen erfüllte sie wieder sehr wichtige und  verantwortungsvolle Aufgaben - und sie fühlte sich nicht mehr allein!

© Petra Schuster
Nürnberg, 26.04.2004

Mittwoch, 17. September 2014

Zuhause ist es doch am schönsten

Ich verreise nicht mehr gerne. Ein Grund dafür ist, dass ich meine beiden Katzen nicht mitnehmen kann - und ohne sie kann ich nicht einschlafen. Aber wenn ich schon verreisen muss, was ein hoffentlich gnädiges Schicksal mir so wenig wie möglich auferlegen möge, dann am liebsten mit der Bahn.

Sie mögen sich jetzt fragen, warum mit der Bahn, das ist für Reisen in ferne Länder wohl nicht das richtige Verkehrsmittel. Nun, das mag richtig sein, aber die Entscheidung fand immer im Ausschlussverfahren statt.

Also schließen wir aus: Bus und Schiff kommen wegen heftiger Seekrankheit zu Wasser und zu Lande nicht in Frage. Ebenso rasch lässt sich das Flugzeug wegen extremer Höhenangst streichen. Somit ist also auch der Luftweg versperrt.

Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt wissen wollen: "Hat sie es überhaupt ausprobiert?". Ja, hat sie.
Schon als Kleinkind spuckte ich meinem Onkel, der im Sonntagsstaat am Steuer seines Autos saß und die ländliche Familie in die glitzernde Großstadt Nürnberg steuerte, in den Nacken. Und eine Busfahrt unseres Schülerchors zur Begrüßung der bayerischen Landesmutter endete damit, dass eine Mitschülerin nicht mitsingen konnte: Ihre Kleidung trug die Spuren und den Geruch meines Mittagessens.

Mit dem Schiff machte ich sogar mehrere negative Erfahrungen, angefangen mit einer Rundfahrt im Hamburger Hafen, bei der eine Mitreisende und ich - ich denke wir waren beide zwölf - zu Beginn der Fahrt die einzige Toilette gemeinschaftlich besetzten. Die Türe öffneten wir erst, als wir wieder anlegten.

Als Teenager wagte ich dann eine Überquerung des Mittelmeers von Genua nach Tunis auf einem großen Schiff mit Stabilisatoren. Ohne unangenehme Einzelheiten zu nennen kann ich doch sagen, die einzige Zeit, in der mein Magen einigermaßen stillstand war, als ich schlief - und so schlief ich so viel ich konnte.

Damit sind wir bei der letzten Möglichkeit angelangt: der Bahn. Damit lässt es sich glücklicherweise ziemlich problemlos reisen. Ganz besonders gerne erinnere ich mich an meine erste Fahrt, die ich alleine machen durfte. Ich glaube, ich war gerade mal sieben Jahre alt und ich fuhr von Pleinfeld nach Mühlstetten, um meine Mutter zu besuchen. Das war eine Station, Fahrzeit circa sieben Minuten. Meine Oma setzte mich in das Abteil und bat einen unbekannten Mitreisenden, mir die Türe am Zielbahnhof zu öffnen, da die Mechanik in dieser Zuggeneration sehr schwer zu bedienen war. Und dann gab sie mir gute Ratschläge mit auf den Weg und ich war mächtig aufgeregt. Ich fühlte mich großartig, irgendwie wie im Märchen und war mächtig stolz auf mich. Seit dieser Zeit hat das Reisen mit der Bahn, auch auf kurzen Strecken, bis heute etwas Abenteuerliches und Verzauberndes.

Da die Möglichkeit andere Verkehrsmittel zu benutzen ja leider nicht gegeben war, brachte ich auch schon weitere Strecken mit der Bahn hinter mich. So fuhr ich an meinem 18. Geburtstag mit einer griechischen Familie von Nürnberg aus den ganzen italienischen Stiefel entlang bis an dessen Ferse. Die kurze Überquerung mit der Fähre nach Griechenland möchte ich lieber nicht beschreiben.

Was ich ganz besonders an Zugreisen liebe lässt sich am Beispiel einer ganz besonderen Fahrt darstellen. Das Ziel war St. Malo in der Normandie. Im Liegewagen ging es von Frankfurt nach Paris, wo ich die halbe Nacht am Fenster stand und in die Dunkelheit schaute, Simon und Garfunkel im Ohr und die Gedanken einfach schweifen ließ. Ab und zu bewunderte ich an fremdartigen Bahnhöfen die schmiedeeisernen Geländer und Lampen und ich versuchte, die ungewohnte Schrift zu entziffern.
Meinen ersten Aufenthalt in Paris während der vierstündigen Wartezeit auf den Anschlusszug werde ich nie vergessen: Samstagmorgen, sieben Uhr, strahlender Sonnenschein in einer Stadt, die mich mit Charme und Charisma umarmte. Gegen Mittag ging es mit dem TGV nach Rennes, vollklimatisiert und mit Speisewagen. Von dort aus fuhr ein Bummelzug nach St. Malo, wo ich weite Strecken ein Abteil für mich ganz alleine hatte und herrlich dösen konnte. Abends kam ich ziemlich zerknittert aber gut gelaunt und glücklich an meinem Zielbahnhof an. Gerade die verschiedenen Etappen dieser Reise machten diesen Tag zu einem einzigartigen Erlebnis.

Ich glaube, diese Rückblicke haben es deutlich werden lassen: Wenn ich schon verreisen muss, dann mit dem Zug. Wenn ich viele Stunden unterwegs bin, dann habe ich endlich Zeit, meinen Gedanken und Ideen nachzuhängen, manchmal nehme ich meinen Mini-Disc-Player mit und höre endlich CD's, die aus Zeitmangel sonst nur im Regal verstauben. Oder ich lese endlich wieder ein gutes Buch. Alternativ dazu habe ich auch immer halbfertig gestrickte Strümpfe dabei, die endlich fertig werden wollen.

Allerdings ist auch die Bahnfahrt mittlerweile nicht mehr das, was sie einmal war: Die deutschen ICE's legen sich so weich in die Kurven, dass ich auch in ihnen seekrank werde. Das ist der zweite Grund, warum ich jetzt auch im Urlaub lieber zuhause bleibe und mit meinen Katzen kuschle.

© Petra Schuster
Nürnberg, 25.09.2002